Symposium Modern Emancipation (Emancipation I)

 

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Thema des Symposiums Modern Emancipation (Emancipation I) ist die Entwicklung der gesellschaftlichen und sozialen Emanzipation in der Moderne in den letzten 100 Jahren mit Blick in die Zukunft. Die Veranstaltung in der Bauhauswoche Berlin 2019 steht im Dialog mit dem korrespondierenden Symposium Modern Woman—Architect (Emancipation II) in Prag und ist Teil des Festivals re:bauhaus – modern emancipation, education, exchange. Das Festival ist ein transnationales Projekt zu den Ursprüngen der Moderne, zur Entstehung moderner Staaten und zu den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen von Funktionalismus und Bauhaus in Mitteleuropa.

Das Symposium schlägt einen thematischen Bogen: Ausgangspunkt ist das emanzipatorische Potential der Frauenbewegung und anhand von Protagonist*innen der Moderne. Betrachtet werden Vorkämpfer*innen in Politik und Wissenschaft, Kunst und Architektur mit Beispielen aus Tschechien, Deutschland und ganz Mitteleuropa. Dem gegenüber steht eine Begriffsbestimmung von Emanzipation sowie eine Betrachtung der Genese über eine Auswahl von Meilensteinen der Moderne in Ost und West, von der Zwischenkriegszeit über die Nachkriegszeit und die sukzessiven feministischen Fortschritte bis zur heutigen Gender-Debatte. Wobei die Leitbilder der Moderne für eine neue Gesellschaft, für den modernen Menschen und im Speziellem die modernen Frau, mit der künstlerischen Avantgarde sowie der urbanistischen und baukulturellen Moderne in Kontext gesetzt und kritisch betrachtet werden.

Auf den Punkt gebracht lautet die Fragestellung, der beide Symposien nachgehen, anlässlich der gleichzeitigen Jubiläen von 100 Jahre Tschechoslowakischer und Weimarer Verfassung sowie 100 Jahre Bauhaus: Wer waren die Protagonist*innen zu Beginn der Moderne und vor allem womit hatten sie zu kämpfen, was ist zwischenzeitlich passiert in über 100 Jahren Moderne und warum um alles in der Welt haben wir immer noch keine Gleichstellung erreicht – noch nicht einmal eine gleichartige Wertschätzung der Protagonist*innen?

Ziel beider Symposien ist eine Zustandsbestimmung in Mitteleuropa und ein weiteres Anfachen der Debatte.

Hinweis: Das Symposium in Prag (Emancipation II) findet am 31. Oktober und 01. November 2019 in der National Galerie Prag statt.

Symposium Modern Emancipation – Programmablauf

 

Eintreffen (10:00)

 

Begrüßung (10:30)

Bauhaus kommt nach 68 (AT)

 

Teil 1 – Protagonist*innen der Moderne (10:45)

Protagonist*innen und Aktivist*innen der Frauenbewegung in Mitteleuropa von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Zwischenkriegszeit im Kontext von Urbanisierung, Architektur-Moderne und modernen Staatsgründungen. Frauenwahlrecht, Frauenvereine, künstlerische Positionen und performative Agitationsformate mit Bezug zu den Protagonist*innen der Architektur-Avantgarde (Funktionalismus und Bauhaus).

Keynote 1 (10:45-11:30)

“Votes For Women” as Means to an End. The Struggle for Gender Equality in Germany 1900-1933

Birte Förster – Historikerin, Humboldt Universität Berlin („1919. Ein Kontinent erfindet sich neu“, Reclam 2018) (DE)

When the social democrat Marie Juchacz addressed the Weimar Parliament as the first female MP in German history in February 1919, she stressed to points: Firstly, that the introduction of universal women’s suffrage had righted a wrong and was nothing to be grateful for and secondly, that by giving German political rights the struggle for civil and economic equality was by no means over. Why women were excluded from political, civil and economic rights despite the declaration that “all men are created equal” and had thus fundamental human rights is the starting point of my talk. I will then explore how women activists met that exclusion, their means to overcome it and the ongoing struggle for gender equality and fundamental human rights.

Q&A (max. 15 Min.)

Keynote 2 (11:30-12:15)

Civilized woman as agent and spectacle: Schisms of women’s emancipation in exhibitions celebrating modern femininity in the First Czechoslovak Republic

Martina Pachmanová – Academy of Arts, Architecture and Design in Prague, Gender-Aspekte in der Moderne (CZ)

The talk focuses on exhibition practices related to women’s emancipation in inter-war Czechoslovakia. Modern woman figured in exhibitions realized by women’s associations, trading companies as well as avant-garde formations as an object, author, spectator, and consumer. The figure of modern woman – be it publicly active professional or economically responsible housewife (household “manager”) – perfectly fit into a story of both successful building of the newly founded democratic state and progressive, radical and revolutionary avant-garde that supports equality and heads towards classless society. The exhibitions presented woman as an agent of social, cultural and political life but also as a spectacle; in other words, how woman sees and transforms the world was inextricably linked to how she looks or should look. This double existence can be well documented by the exhibition Civilized Woman that took place in Brno in 1929–1930 and that was promoted as an “apotheosis” of processes of modernization related to women’s liberation. A detailed analysis of this exhibition and its accompanying eponymous publication demonstrates how ambiguous, uncertain, and fragile the much-praised ideal of modern femininity was and how many surviving gender – but also racial – stereotypes disabled a direct challenge of patriarchal power dominated in self-confirming male avant-garde.

Q&A (max. 15 Min.)

 

Mittagspause (12:30-13:30)

 

Teil 2 – Begriffsbestimmung Emanzipation (13:30)

Vortrag

Feminismus und Emanzipation – wer, von was, wohin?

Christina Thürmer-Rohr, Sozialwissenschaftlerin, feministische Theoretikerin und Musikerin, Pionierin der Frauen- und Geschlechter-Forschung (DE)

Das Wort “Emanzipation” setzte die Gewissheit darüber voraus, wer von was und wem, wofür und wohin zu befreien sei. Heute nehmen wir Abstand zu den ganz großen Worten. Ein Rückblick auf 100, 50 und 30 Jahre Rebellionsgeschichte fragt nach Selbstbestimmung und Gleichheit in einer unordentlich gewordenen Welt. Er sucht nach einer politischen Kultur, die Aufstieg und Selbstermächtigung nicht in narzisstische Triumphe verwandelt und sich nicht zufrieden gibt mit Gleichstellungsforderungen, die eine umfassende Gewaltkritik aus dem Blick verliert, so als hätten wir es mit Missständen in einer ansonsten intakten politischen Landschaft zu tun. Wir sind gebrannte Kinder.

Q&A (max. 15 Min.)

 

Pause 14:15-14:30 (inkl. Umbaupause)

 

Teil 3 – Meilensteine der Emanzipation (14:30)

Was ist in 100 Jahren Moderne passiert bzw. nicht passiert? Wo lagen entscheidende Weichenstellungen? Wie haben sich die Impulse der Zwischenkriegszeit und der Frauenbewegung in der Nachkriegszeit in Ost und West fortgesetzt? Wie hat sich in Ost und West, nach dem Ende der Teilung Europas, das Thema der Emanzipation zur Gender-Debatte erweitert? Wie lässt sich dies in einer transnationalen Perspektive bewerten? Welche Leitbilder, Errungenschaften und Ambivalenzen der Moderne sind signifikant für die Entwicklung und den heutigen Stand? Wie verhält sich dies in der heutigen, zudem digitalen Öffentlichkeit, und im öffentlichen Raum? Welche künstlerischen und baukulturellen Positionen und Entwicklungen stehen dazu im Kontext?

Table-Talk-Runde 1 (14:30-16:00)

Ausgangspunkt ist ein Vergleich der Frauenbewegung und Emanzipation in Ost und West in der Nachkriegszeit. Wie unterschiedlich oder ähnlich verliefen die Entwicklungen während der Teilung Europas bis zum Ende des Kalten Kriegs? Ist die teilende „Ost-West-Geografie“ überwunden oder lassen sich auch heute noch Unterschiede feststellen?

Impuls-Referat 1 (15 Min.)

Sexual Liberation, Socialist Style. A case of Progressiveness from the Cold War’s East
Katerina Liskova – Soziologin und Gender-Forscherin, Masaryk Universität Brno (CZ)

While the usual account places sexual liberation to 1960s West, I will argue for an earlier and systemic sexual liberation that took place in the 1950s in one of the countries of the Cold War East. I will show how important aspects of sexuality were freed already during the first postwar decade in Czechoslovakia: abortion was legalized, homosexuality decriminalized, the female orgasm came into experts’ focus – and all that was underscored by an emphasis on gender equality. However, by the late stages, known as Normalization, gender discourses reversed, and women were to aspire to be caring mothers and docile wives. Good sex was to cement a lasting marriage and family. In contrast to the usual Western accounts highlighting the importance of social movements to sexual and gender freedom, here we discover, based on the analysis of rich archival sources covering forty years of state socialism in Czechoslovakia, how experts, including sexologists, demographers, and psychologists, advised the state on population development, marriage, and the family to shape the most intimate aspects of people’s lives.

Impuls-Referat 2 (15 Min.)

Emanzipation als »Befreiung«. Frauenbewegung im postkolonialen Frankreich
Aline Oloff
– TU Berlin, Zentrum für Interdisziplinäre Frauen und Geschlechterforschung (ZIFG) (DE)

›Befreiung‹ war in den 1960er Jahren, die in globaler Perspektive vom gewaltsamen Ende des Kolonialismus geprägt waren, ein überaus populärer politischer Begriff, der auch für die sich formierenden Frauenbewegungen attraktiv war. In meinem Input werde ich am Beispiel der französischen Frauenbefreiungsbewegung, dem Mouvement de Libération des Femmes, die Anknüpfungspunkte und Bedeutungsebenen des Befreiungsbegriffs im feministischen Sprachgebrauch nachvollziehen und auf die Effekte und Konsequenzen dieser Wortwahl für das feministische Gerechtigkeits- und Emanzipationsprojekt hinweisen.

Table-Talk offen für Publikum (Fishbowl) mit den Referent*innen und geladene Diskussionsteilnehmer*innen.

 

Pause (16:00-16:15)

 

Table-Talk-Runde 2 (16:15-17:45)

Ausgangspunkt ist die Erweiterung des Themas Emanzipation von der modernen Frauenbewegung zur Gender-Debatte, in einer transnationalen Perspektive. Wie lassen sich zeitgenössische Initiativen und aktivistische Protestkulturen wie Frauenstreik und me-too gegenüber der Entwicklung der modernen Emanzipation einordnen?

Impuls-Referat 3 (15 Min.)

Feminist Urban Planning
Petra Hlavackova – Gender-Aktivistin, Universität für angewandte Kunst Prag (CZ)

Through the appearance of public space in our cities, we can recognise the power distribution in society. How to emancipate by urban planning? “Feminist urban planning” or “gender mainstreaming in urban development” tend to change the cities towards more fair-shared places. What are their approaches and possibilities?

Gesprächspartner*innen:
Sarah Rivière – Architektin, Architekt*innen Netzwerk n-ails
Gudrun Sack – Architektin, im Vorstand der Architektenkammer Berlin

 

Table-Talk offen für Publikum (Fishbowl) mit den Referent*innen und geladene Diskussionsteilnehmer*innen.

 

Imbiss (17:45) (inkl. Umbaupause)

 

Teil 4 – Debatte Emanzipation (18:30)

Die bisher nicht erreichte Gleichstellung hat sich zum zentralen politischen Problem von heute entwickelt. Ein Konflikt, der über die fehlende Geschlechter-Gerechtigkeit hinausgreift. Trotz 100 Jahren Moderne bleiben geschlechtliche, soziale, wirtschaftliche oder auch ökologisch bedingte Ungleichheiten vorherrschend. Warum findet in der heute als Mainstream-Lebensweise gepriesen persönlichen Freiheit eine tatsächliche Gleichstellung nicht statt? Wobei die Gender-Debatte und die Gleichstellung von Mann und Frau weiterhin die Avantgarde für eine Kultur des Umdenkens und Wandels darzustellen scheinen. Dies zeigt sich deutlich an der Debatte selbst: woraus speist sich die tiefe gesellschaftliche und politische Kluft zwischen dem vermeintlich etablierten Bekenntnis zu Feminismus und Gender-Gerechtigkeit einerseits, gegenüber der andererseits vorhandenen vehementen Ablehnung von Gender-Studies und weiblicher Emanzipation? Eine Ablehnung, die metaphorisch beinahe an einen vormodernen Glaubenskrieg erinnert. Gleichzeitig versteigen sich Ungleichheiten vor allem durch strukturelle Machtverhältnisse, räumliche Setzungen und alltägliche Verhaltensmuster, die ganz bewusst oder auch unbewusst erhalten werden. Wie hängen diese strukturellen Hindernisse mit inhärenten Ambivalenzen der Moderne zusammen? Die schrittweisen Erfolge der Gleichstellung und ihrer Protagonist*innen laufen dabei immer auch Gefahr vereinnahmt zu werden und – zumindest zeitweise – partielle Ausgrenzungen mitzutragen oder einen insgesamten Anspruch auf soziale Gerechtigkeit einzubüßen. Wie kann die Gender- und Frauenbewegung weiterhin Avantgarde sein für soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung und gleichzeitig im Mainstream ankommen?

Begrüßung / Einführung

Zwischenruf (ca. 15-20 Min.)

Priya Basil – Autorin („Gastfreundschaft“, Insel-Verlag 2019) (GB/DE)

Podiums-Diskussion mit Publikumsbeteiligung (19:00)
Gleichstellung jetzt

Podiumsgäste:

Sabine Hark – TU Berlin, ZIFG – Zentrum für Interdisziplinäre Frauen und Geschlechterforschung (DE)

Mary Pepchinski – Kuratorin (Ausstellung „Frau Architekt“), TU Dresden (DE)

Martina Pachmanová – Academy of Arts, Architecture and Design in Prague (CZ)

Ebow – Rapperin und Performance-Künstlerin (DE)

Petra Hlaváčková – Gender-Aktivistin (CZ)

Sarah Riviere – Architektin, Architektinnen-Netzwerk n-ails (GB/DE)

Priya Basil – Autorin („Gastfreundschaft“, Insel-Verlag 2019) (GB/DE)

Moderation: Helena Doudová und Robert K. Huber

 

Teil 5 – Performance Modern Emancipation (21:00)

Live-Concert

EBOW

Female Rap

Erstmals Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte Ebow durch Guerilla-Auftritte in Waschsalons, Supermärkten oder der Straßenbahn. Heute tritt die in Wien und Berlin lebende und arbeitende Künstlerin zwar auf konventionelleren Bühnen auf, ihre Message aber bleibt provokant und politisch. Solo, aber auch als Mitglied der Gaddafi Gals, rappt sie u.a. gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie, für eine offene, solidarische und gleichgestellte Gesellschaft.
Mehr unter: ebowsbazar.de

Symposium Modern Emancipation (Emancipation I)

 

© zukunftsgeraeusche

The theme of the symposium Modern Emancipation (Emancipation I) is the development of social and societal emancipation in modernity over the last 100 years with a view to the future. The event in the Bauhaus Week Berlin 2019 is in dialogue with the corresponding symposium Modern Woman-Architect (Emancipation II) in Prague and is part of the festival re:bauhaus – modern emancipation, education, exchange. The festival is a transnational project on the origins of modernity, the emergence of modern states and the political and social conditions of functionalism and Bauhaus in Central Europe.

The symposium will cover a wide range of topics: The starting point is the emancipatory potential of the women’s movement and on the basis of protagonists of modernity. The symposium will look at pioneers in politics and science, art and architecture, with examples from the Czech Republic, Germany and all of Central Europe. This is contrasted with a definition of emancipation and an examination of its genesis through a selection of milestones of modernism in East and West, from the interwar period through the post-war period and the successive feminist advances to today’s gender debate. The guiding principles of modernity for a new society, for the modern man and in particular the modern woman, are placed in context with the artistic avant-garde as well as urbanistic and architectural modernity and critically examined.

In a nutshell, the question that both symposia will pursue on the occasion of the simultaneous anniversaries of 100 years of the Czechoslovak and Weimar constitutions and 100 years of the Bauhaus is: Who were the protagonists at the beginning of modernism and, above all, what did they have to struggle with, what has happened in the meantime in over 100 years of modernism and why on earth have we still not achieved equality – not even equal appreciation of the protagonists?

The aim of both symposia is to determine the state of affairs in Central Europe and to further fuel the debate.

Note: The symposium in Prague (Emancipation II) will take place on 31 October and 01 November 2019 at the National Gallery Prague.